Getrudiskirche Graba
Obwohl die Gertrudiskirche stets der geistliche Mittelpunkt des 1922 ins Stadtgebiet Saalfeld eingemeindeten Dorfes Graba war, half die exponierte Lage am Rande der Saaleterrasse und die auffallende Architektur des Bauwerks durch seine unmittelbare Nachbarschaft zu Saalfeld seit jeher das malerische Stadtbild zu prägen. Bereits Matthäus Merian hat die engen Sichtbeziehungen zur Stadt bemerkt und das markante Gebäude in seine Bilddarstellung auf dem Kupferstich von 1650 einbezogen. Das Dorf Graba entwickelte sich indessen jahrhundertelang eigenständig und unabhängig von der Stadt.
Als Urpfarrei bestand Graba bereits lange vor der Stadtgründung und in jener Zeit, als 1071 das benachbarte Benediktinerkloster gegründet wurde. Damals hat in Graba bereits eine Kirche oder Kapelle bestanden, die der heiligen Gertrud geweiht war. Der in Thüringen seltene Gertrudenkult ist fränkischen Ursprungs, geht noch auf die Karolingerzeit zurück, wurde anscheinend bereits mit der Entwicklung des ersten Saalfelder Königshofes im 9. Jahrhundert eingeführt und stand offenbar in Zusammenhang mit dem 899 erwähnten Grundhof des Markgrafen Poppo von der Sorbenmark. Das Patrozinium bezieht sich auf die 659 verstorbene heilige Gertrud von Nivelles. Von 1228 bis zur Reformation stand die Kirche unter dem Schutz der Benediktinerabtei. Über das ursprüngliche Aussehen der Kirche wissen wir wenig.
Aus Nachrichten des 18. Jahrhunderts, nach denen ältere Bauteile abgebrochen wurden, ist ersichtlich, dass das mittelalterliche Gebäude aus Chor, Querhaus und dreischiffigem Langhaus bestand und dem romanischen Baustil zuzuordnen war. Im späten Mittelalter war die Kirche so baufällig geworden, dass von 1477 – 1479 mit der Errichtung des heutigen spitzhaubigen Turmes eine umfassende Bautätigkeit eingeleitet wurde, die erst kurz vor der Reformation beendet war.
Während damals das durch einen hohen Schwibbogen nach dem Chor hin offene romanische Langhaus unberührt blieb, erfolgte zwischen 1510 und 1520 auf Betreiben des Abtes Georg von Thüna der Neubau des spätgotischen Chores mit polygonalem Ostabschluss und Strebepfeilern, dessen Innenraum ein wirkungsvolles, mit Blumenornamenten bemaltes Sterngewölbe erhielt. Bei Restaurierungsarbeiten in den Jahren 1987 bis 1990 konnten die Gewölbemalereien wieder freigelegt werden. Das äußerst baufällig gewordene Langhaus wurde 1775 abgebrochen und bis 1778 durch einen schmucklosen Neubau mit flachem Spiegelgewölbe aus Holz im Innern ersetzt. Den Entwurf dazu lieferten der Maurermeister Georg A. Ellmer sowie der Zimmermeister Johann A. Enders, beide aus Saalfeld, die ebenfalls die Bauausführung leiteten. Für die anschließende Ausstattung zeichnete der Saalfelder Maler Johann Friedrich Fasold verantwortlich. Die in Stuckrahmen eingebetteten Deckengemälde zeigen Darstellungen eines Engelskonzertes sowie die Allegorien der zwölf Ältesten um den Thron Gottes und des Lammes Gottes mit der Schar der Gerechten, beide aus der Offenbarung Johannes.
Am Triumphbogen befindet sich außerdem das Bild des Traumes Jakobs von der Himmelsleiter. Fasold bemalte ebenfalls die zweizonig angeordneten, von der Saalfelder Tischlerzunft angefertigten Emporen und die Fürstenloge mit Monogramm und Wappen des Herzogs Ernst Friedrich von Sachsen-Coburg-Saalfeld, dem Förderer des damaligen Um-baues. Der gebauchte, polygonale Kanzelkorb mit Schalldeckel von 1780 an der Südseite des Triumphbogens und der reich geschnitzte Orgelprospekt von 1784 auf der Westempore tragen schließlich zum geschlossenen barocken Raumeindruck im Langhaus bei. Als wertvollstes Ausstattungsstück steht im Chor der Kirche der fast 7 m hohe spätgotische Flügelaltar, der kurz vor 1520 vollendet wurde und auf eine Stiftung des Abtes Georg von Thüna zurückgeht. Nachdem der Altar 1773 im Zuge der barocken Kirchenrenovierung beiseite gestellt worden war, ziert er seit 1940 wieder den Chorraum. Der Grabaer Schnitzaltar bildet zugleich Höhepunkt und Abschluss der traditionsreichen Saalfelder Bildschnitzkunst des Mittelalters.
Im Schrein der Pfarrkirche befinden sich die lebensgroßen Figuren der heiligen Gertrud zwischen Benedikt von Nursia und Anno von Köln. In den Flügeln stehen die in Flachreliefs ausgeführten Heiligen Sebastian und Jakobus der Ältere sowie Katharina und Barbara. Der filigran geschnitzte Auszug über dem Schrein wird geschmückt von den Figuren der Maria mit Kind zwischen Petrus und Paulus; im obersten Teil erscheint die Figurengruppe des Gnadenstuhls oder der Heiligen Dreifaltigkeit. Auf den Flügelaußenseiten erscheinen die Tafelbilder der Marienkrönung und der Gregorsmesse, gemalt von einem unbekannten Meister, der unter dem Einfluss Albrecht Dürers stand. Stilistische Untersuchungen ergaben, dass die Figuren aus der Werkstatt des bekannten Saalfelder Bildschnitzers Hans Gottwalt stammen, einem Schüler des berühmten Würzburger Meisters Tilmann Riemenschneider.
Dr. Gerhard Werner